„If it’s black, fight back. If it’s brown, lie down. If it’s white, goodnight.” – diesen Merkspruch zu Bärenangriffen prägte ich mir ganz genau ein, bevor ich ins Flugzeug nach Kanada stieg. Die Wahrscheinlichkeit, dort auf einen Bären in freier Wildbahn zu treffen, ist schließlich nicht gering. Während meiner sechs Monate vor Ort habe ich ganze acht Bären gesehen – teils nur wenige Meter entfernt auf dem Wanderweg. Da möchte man besser wissen, wie man im Ernstfall reagiert. Zum Glück sind all meine Begegnungen glimpflich verlaufen und ich musste mein Bärenspray nie einsetzen. Spannend war es natürlich trotzdem!
Und das gilt für meinen gesamten Aufenthalt in Kanada: Ich bin Emily, studentische Mitarbeiterin bei Biomol, und habe den Sommer über sechs Monate lang in Vancouver – der drittgrößten Stadt des Landes – gelebt. Dort habe ich an der University of British Columbia ein Forschungspraktikum in der Arbeitsgruppe von Dr. Anna Blakney absolviert. Dieser Auslandsaufenthalt hat mir nicht nur spannende Einblicke in die RNA-Forschung ermöglicht, sondern mir auch gezeigt, wie wertvoll internationale Zusammenarbeit und interkultureller Austausch sind, wie gut Bewegung in der Natur Körper und Geist tut – und wie klein man sich in einem Land fühlen kann, das so grenzenlos wirkt.
Vancouver, von den Locals liebevoll „Van“ genannt, liegt an der Westküste Kanadas in der Provinz British Columbia und bildet mit rund 2,6 Millionen Einwohnern im Regionaldistrikt Metro Vancouver die größte Metropolregion Westkanadas [1]. Für mich war es der erste Aufenthalt in einer nordamerikanischen Großstadt – und die hoch aufragenden Glasfassaden in Downtown, die Vancouver den Spitznamen „City of Glass“ eingebracht haben, beeindruckten mich sofort (Abb. 1). Trotz des urbanen Flairs wirkt die Stadt erstaunlich grün: Das Meer auf der einen, die Berge auf der anderen Seite, und dazwischen unzählige Parks und Küstenwege. Diese herausragende Lage macht Vancouver zu einem Paradies für Outdoor-Fans – entlang der Strände tummeln sich Jogger, Beachvolleyball-Spieler*innen und Rennradfahrer*innen, die sich das ganze Jahr über draußen austoben.
Vancouver ist außerdem geprägt von einer bemerkenswerten kulturellen Vielfalt: 47,1% der Bevölkerung gehören laut kanadischer Statistik zu einer „visible minority group“ [2]. Mit knapp 30% an der Gesamtbevölkerung stellen Menschen chinesischer Herkunft die größte nicht-europäische Bevölkerungsgruppe – weshalb es nicht nur ein lebendiges Chinatown gibt, sondern sich auch herausragende südostasiatische Küche an fast jeder Ecke finden lässt. Beim Schlendern durch die Straßen kann man allerdings nicht nur kulinarisch auf Reisen gehen – gelegentlich landet man auch unvermittelt mitten in einem Filmset. Kein Wunder: Nach Los Angeles und New York ist Vancouver der drittwichtigste Standort der nordamerikanischen Filmindustrie [3] und trägt daher den Spitznamen „Hollywood North“. Doch nicht nur die Filmbranche floriert hier: Auch die Forschung hat einen starken Stellenwert. Vancouver gilt international als Hotspot für innovative RNA- und Lipidnanopartikel-Technologien – ein Forschungsfeld, in das ich während meines Praktikums selbst eintauchen durfte.
Spätestens der Erfolg der mRNA-basierten COVID-19-Impfstoffe von BioNTech und Moderna hat das enorme Potenzial von RNA-Lipidnanopartikel-(LNP)-basierten Therapien sichtbar gemacht und weltweit einen neuen Schub im Bereich RNA-Therapeutika ausgelöst. Das Prinzip hinter der Technologie ist elegant: Synthetische RNA wird in Lipidnanopartikel verpackt, die ihre Aufnahme in die Körperzellen erleichtern. Dort wird die RNA translatiert und das entsprechende Protein produziert – im Fall der COVID-19-Impfstoffe das Spike-Protein des Coronavirus, das anschließend eine spezifische Immunantwort hervorruft. Der große Vorteil dieser Plattform: RNA-Impfstoffe lassen sich prinzipiell gegen jedes proteinbasierte Antigen entwickeln [4]. Die RNA selbst ist chemisch so modifiziert, dass sie kaum eine angeborene Immunreaktion hervorruft und nach kurzer Zeit wieder abgebaut wird – übrig bleibt nur das produzierte Antigen, das die adaptive Immunantwort trainiert [5].
Die Arbeitsgruppe von Dr. Anna Blakney beschäftigt sich mit dem molekularen Design und der Formulierungsoptimierung innovativer RNA-Impfstoffe und -Therapien. Neben konventioneller mRNA liegt ein besonderer Fokus auf sogenannter self-amplifying RNA (saRNA) – einer RNA-Variante, die sich nach dem Eintritt in die Wirtszelle selbst vervielfältigen kann (Abb. 2). saRNA basiert auf positiv-strängigen, einzelsträngigen RNA-Viren, meist Alphaviren wie dem Venezuelanischen Pferdeenzephalitisvirus (VEEV). Im Gegensatz zu klassischer mRNA – die typischerweise nur für wenige Tage Protein produziert – wurde gezeigt, dass saRNA die Antigenexpression nach einer einzigen Verabreichung über mehrere Wochen aufrechterhalten kann, wodurch eine stärkere Immunantwort bei geringerer Dosis erzielt wird [6]. Diese Eigenschaften machen saRNA zu einem vielversprechenden Kandidaten für „Next Generation“-Impfstoffe und weitere therapeutische Anwendungen.
RNA wird längst nicht mehr nur für Impfstoffe eingesetzt, sondern auch für die Nutzung in zahlreichen weiteren therapeutischen Ansätzen erforscht – etwa in der Proteinersatztherapie, beim Gene Editing oder inzwischen auch in der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen. Während meines Praktikums durfte ich an einem besonders spannenden Projekt der PhD-Studentin Shekinah (Kaye) Soriano aus Dr. Blakney’s Labor mitarbeiten (Abb. 3). Ziel des Projekts ist es, eine RNA-LNP-Plattform zu entwickeln, mit der verloren gegangene Neuronen ersetzt werden können, indem Astrozyten direkt in Neuronen umprogrammiert werden. Was zunächst fast nach Science-Fiction klingt, funktioniert tatsächlich bereits: Durch die Expression neurogener Transkriptionsfaktoren lassen sich Astrozyten in sogenannte „induzierte Neuronen“ (iNeurons) umwandeln [8]. Während diese Transkriptionsfaktoren bislang meist mithilfe viraler Vektoren wie Adeno-assoziierten Viren (AAVs) in die Zellen eingebracht wurden, setzen wir stattdessen auf eine Lieferung über LNP-verpackte RNA. Um die Therapie möglichst sicher zu machen, integrieren wir zusätzlich einen „Safety Switch“ in unsere RNA-Konstrukte. Dieser soll eine gezielt zellspezifische Expression ermöglichen – und damit sowohl die Effektivität als auch die Sicherheit des Ansatzes erhöhen.
Die translationale Ausrichtung des Projekts war für mich besonders spannend, und ich konnte viele neue Methoden erlernen – darunter erstmals auch die Arbeit mit Mausmodellen. Für unsere in vitro-Experimente isolierten wir Astrozyten aus dem Cortex neonataler Mäuse, kultivierten sie und transfizierten sie anschließend mit LNPs, die die RNA zur Expression neurogener Transkriptionsfaktoren enthielten (Abb. 3). Durch die Analyse Astrozyten- und Neuronen-spezifischer Marker konnten wir beurteilen, wie erfolgreich die Reprogrammierung verlaufen war. Zusätzlich führten wir in vivo-Pilotstudien durch, um die Effizienz unseres Safety Switches zu testen: Dafür injizierten wir Mäusen intravenös eine Firefly-Luciferase-kodierende RNA und überprüften anschließend mithilfe von Imaging, in welchen Organen die Expression stattfand.
Die Arbeit im Labor hat mir unglaublich viel Spaß gemacht – nicht nur wegen der spannenden Forschung, sondern auch wegen der Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Durch die Internationalität der Gruppe entstand ein lebendiger interkultureller Austausch, bei dem ich viel über andere Länder, Kulturen und Religionen gelernt habe. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie in der Forschung Menschen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen, um mit derselben Neugier an gemeinsamen Fragestellungen zu arbeiten – und dabei darf der kurze Kaffeeplausch natürlich nicht fehlen!
Doch lange bleibt man mit seinem Kaffee dann doch nicht sitzen – früher oder später zieht es einen automatisch nach draußen in die Natur. Die Umgebung rund um Vancouver hat einfach unglaublich viel zu bieten: Egal ob ausgedehnte Wanderungen durch beeindruckende Berglandschaften und endlose Wälder, Kajaktouren über den Ozean (mit Angel an Bord versteht sich), ein Sprung in leuchtend blaue Bergseen oder eine Nacht allein im Zelt unter den Sternen – in Kanada lassen sich Outdoor-Abenteuer von A bis Z erleben! Ich habe diesen Luxus voll ausgekostet und war praktisch jedes Wochenende unterwegs – der perfekte Ausgleich zum Laboralltag (Abb. 4). Mein Fazit zum Forschen in Kanada: Spitzenforschung, großartige Menschen, überwältigende Natur – ein Erlebnis mit eindeutigem Rückkehrpotenzial!
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Vancouver, 27.10.2025
[4] Sahin, U., Karikó, K. & Türeci, Ö. mRNA-based therapeutics — developing a new class of drugs. Nat Rev Drug Discov 13, 759–780 (2014).
[5] Lee, J., Woodruff, M.C., Kim, E.H. et al. Knife’s edge: Balancing immunogenicity and reactogenicity in mRNA vaccines. Exp Mol Med 55, 1305–1313 (2023).
[6] Casmil IC, Jin J, Won EJ, Huang C, Liao S, Cha-Molstad H, Blakney AK. The advent of clinical self-amplifying RNA vaccines. Mol Ther. 2025 Jun 4;33(6):2565-2582.
[7] Blakney, A.K., Ip, S., Geall, A.J. An Update on Self-Amplifying mRNA Vaccine Development. Vaccines 2021, 9, 97.
[8] Jiang H, Qi H, Tang A, Hu S, Lai J. Start the engine of neuroregeneration: A mechanistic and strategic overview of direct astrocyte-to-neuron reprogramming. Ageing Res Rev. 2025 Aug;110:102808.
Preview-Bild: Emily Locke, eigene Aufnahme (27.07.2025)